Schlußbemerkung

Meine Untersuchungen zu Ingeborg Bachmann und Michel Foucault haben gezeigt, daß es zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen der Dichterin und dem poststrukturalistischen Philosophen gibt. Manche Einschnitte in der Denkweise beider Autoren verlaufen fast parallel (wenn man jeweils das Frühwerk und das Spätwerk beider vergleicht), andere sind stark zeitlich versetzt.

 


Bachmann und Foucault beschreiben beide in ihren frühen Texten eine Möglichkeit für die Literatur, in ein Außen zu treten und gänzlich aus der hergebrachten Sprache zu verschwinden. Bachmann will in ihrer frühen Lyrik 'über die Grenze sprechen', die Alltagssprache überwinden und utopisch die Trennung von Zeichen und Bezeichnetem aufheben. Foucault sieht ebenfalls anfangs Möglichkeiten (z. B. in der Literatur Batailles und Roussels), aus der Sprache auszutreten und dabei selbstverschwenderisch seinen Subjekt-Status aufs Spiel zu setzen. In Der gute Gott von Manhattan zeigt auch Bachmann, daß der Austritt aus der Ordnung mit einem Opfer verbunden ist. Zudem deutet ihr Hörspiel schon auf die später zentraler werdende Verbindung zwischen Sprache und gesellschaftlicher Macht.


Beide Autoren thematisieren bereits in ihren frühen Schriften die Erfahrung der Grenze als Möglichkeit der Erkenntnis. In ihren Erzählungen des Dreißigsten Jahres verbindet Bachmann die Grenzerfahrung mit einer Ethik, die einen 'erkenntnishaften Ruck' als Ausgangspunkt hat. Ihre Rede vom 'moralischen Trieb vor jeder formulierbaren Moral' erinnert ein wenig an Foucaults späte Ethik, die sich den gegenwärtigen Normsetzungen und Machtverhältnissen entgegenstellen soll.

 


Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen um 1968 wird Foucault politischer. Die Literatur als Überschreitung interessiert ihn kaum noch, dagegen wird die Bedeutung von Machtverhältnissen immer zentraler in seinen Analysen. Foucault spricht nicht mehr von einem Außerhalb der diskursiven Sprache, sondern er stellt sich am Rand des Diskurses auf, um zu beschreiben, was ihn begrenzt. Die Innen/Außen-Thematik tritt bei Foucault immer weiter in den Hintergrund. Er verwendet den Begriff der 'Netzstruktur', um die geschichtlich entstandenen Machtverhältnisse zu beschreiben, welche gegenwärtig die Sprache und die Körper der Subjekte durchdringen. Foucault erkennt, daß sich die Machtverhältnisse nicht mit binären Bezeichnungen beschreiben lassen, da diese schon Teil der Strategie der gegenwärtigen Machtordnung sind und die wahren Verhältnisse maskieren.


In Ingeborg Bachmanns Erzählungen ist die Grenzerfahrung auch nicht mehr mit einer Überschreitung verbunden. Die Figuren machen an der Grenze solche Erfahrungen, doch gelingt es ihnen nicht, gegen die Macht des Diskurses anzurennen, sie stoßen immerzu mit ihrer Denkweise an die Grenze der sprachlichen Ordnung. Die Figuren vermögen es nicht, eine haltbare 'neue Sprache' zu entwickeln, da sie sich nicht außerhalb des Diskurses stellen können. Nur für den Augenblick, in dem sie einen Riß in die Grenze schlagen oder in den Abgrund blicken, können sie für einen Moment die binären Grenzziehungen überwinden. Die Erfahrung des Zurückgestoßen-Werdens von der Grenze ermöglicht einen Moment der Erkenntnis, ist aber zugleich mit psychischem Schmerz und körperlicher Traumatisierung verbunden.


Sowohl Bachmann als auch Foucault stellen fest, daß die Konfrontation mit der Macht mit körperlichem Zwang verbunden ist. Die historischen, normativen und humanwissenschaftlichen Zugriffe der Macht manifestieren sich im Körper. Die Sprache vom wissenschaftlich-rationalen Diskurs bestimmt und schließt dabei die Rede des 'Anderen', des 'Wahnsinnigen', des 'Weiblichen' aus. Foucault und Bachmann wollen diese ausgeschlossen Diskurse wieder zur Sprache bringen, doch sehen sie, daß es kaum möglich ist, den sich geschichtlich in das Individuum einschreibenden Machtverhältnissen zu entkommen. Beide halten daran fest, daß es keine Flucht in ein Außerhalb geben kann, sondern suchen an der Grenze nach Möglichkeiten zur Veränderung der gegenwärtigen Ordnung.


Darüber hinaus sehen die Schriftstellerin und der Genealoge, daß die gegenwärtigen Machtverhältnisse kriegerische sind, in denen es darum geht, den anderen zu unterwerfen und der Sieger zu bleiben. In der vorgefundenen gesellschaftlichen Ordnung, in der Geschichte, im Alltag, in der Sprache, in der Geschlechterbeziehung und auch im Subjekt selbst stellen Bachmann und Foucault den fortgesetzten Krieg fest. Der ständige Krieg zieht einer binäre Grenze in allen diesen Bereichen: Ein Sieg des einen Teils bedeutet den Ausschluß oder die Zerstörung des anderen. Dem weiblichen Ich im Malina-Roman gelingt es, durch die Opferung ihres Ich-Anteils, in einen 'Zwischenraum' zu gelangen. Sie überwindet den ewigen Dualismus, indem sie selbst zur Grenze wird. Der Wunsch, in ein außerhalb der Grenze liegendes Utopia zu gelangen, scheitert zwar, doch findet das Ich als Schrift in der 'Leerstelle' einen dynamischen Raum, in dem es den Fixierungen durch die Macht entgehen kann.


In dieser Arbeit konnten auch Gemeinsamkeiten zwischen Foucaults Verkündung des Autor-Todes und dem Verschwinden des weiblichen Ich in der Wand aufgezeigt werden. Bachmann und Foucault stellen fest, daß der Autor in der Literatur der Moderne zugunsten der Schrift verschwindet. Der Malina-Roman dokumentiert und reflektiert diese Entwicklung in der Literatur.


Foucault sucht in den achtziger Jahren nach neuen Möglichkeiten für das Subjekt, sich nicht vollkommen den normierenden Subjektivierungsformen der Humanwissenschaften und ihrer Institutionen zu unterwerfen. Er entdeckt die antike Ethik, die zumindest als Beispiel dafür dienen kann, daß unsere Form der Unterwerfung nicht die einzig mögliche ist. Die Selbsttechniken sind Formen, in denen sich das Individuum ein schönes Leben verschafft. Darüber hinaus kann die Gebrauchsliteratur der 'Schrift des Selbst' dazu verwendet werden, sich selbst als Subjekt auszuarbeiten, ohne sich gänzlich von den Zwängen der 'Schriftmacht' bestimmt zu lassen. Diese ethische Lebenskunst muß die Spielräume nutzen, die innerhalb des Machtnetzes noch gegeben sind.


Die Rede von der lebendigen Erfahrung des Künstlers, der mit seiner kritischen Sicht die Wirklichkeit verändert, sowie die Forderung nach einem Recht auf Differenz sind zwei weitere Gemeinsamkeiten zwischen Bachmann und Foucault. In meiner Arbeit habe ich zwar auch mehrfach auf Unterschiede hingewiesen, dennoch können Foucault und Bachmann gleichermaßen durch ihre Grenzerfahrungen, die sie beim Schreiben ihrer Texte 'gemacht' und nicht 'aus der Luft geholt haben', viele neue Möglichkeiten des Denkens aufzeigen. Ihre Bücher sind lebendige Erfahrungen.

(Der Text wurde leicht modifiziert.)

 

 

Wer Interesse an der vollständigen Arbeit hat, kann sich gerne unter meiner mail-Adresse melden.

 

 

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