Es ist nicht ganz unproblematisch, die Machtanalysen des "Autors" Michel Foucault
(15. 10. 1926 - 25. 6. 1984) anhand seines "Werks" zu untersuchen. Für
Foucault ist der
"Autor" kein Schöpfer, Erfinder oder Produzent; und von einem kohärenten,
einheitlichen
"Werk" will er auch nicht sprechen (vgl. SzL 7). Der "Autor" der Bücher,
die den Namen
Michel Foucault auf dem Umschlag tragen, ist keine einheitliche Persönlichkeit,
der man
eine festgelegte Identität zuweisen kann und soll. Sein "Werk" ist keine
Einheit, sondern
heterogen und vielfältig; seine Schriften sind labyrinthisch, voll von
Auslassungen, Wie-
derholungen und nicht verwirklichten Ankündigungen. Um Foucaults Analysen
der Macht
adäquat darzustellen, muß man folglich die Untersuchungen seiner
lückenhaften Bücher
durch aktualisierende Gespräche, Interviews, Vorlesungen, Reden usw. ausweiten.
Diese
Arbeit unternimmt den Versuch, Foucaults Machtbegriff möglichst umfassend
darzustel-
len, ohne davon auszugehen, letztlich eine einheitliche, kohärente Machttheorie
beschrei-
ben zu können.
Zunächst soll Michel Foucaults genealogische Methode vorgestellt werden,
welche
die rein diskursanalytische Archäologie erweitert. Nach einer kurzen Darstellung
des Dis-
kursbegriffes werden die Begriffe Genealogie und Kritik sowie das methodische
Vor-
gehen des französischen Historikers und Philosophen erläutert. Anhand
von verschiedenen
Definitionen soll danach Foucaults Machtbegriff dargestellt und von marxistischen
und
klassischen Vorstellungen der Macht abgegrenzt werden. Die methodologischen
Grund-
lagen seiner Analysen und die genaue Begriffsbestimmung werden dann in den folgenden
Abschnitten exemplifiziert und erweitert.
Nach einer knappen Vorstellung der biographischen Umstände, die zu seiner
Hinwen-
dung zur Macht und zu einer Repolitisierung geführt haben, soll in den
nächsten vier Ka-
piteln eine seiner Hauptschriften (Überwachen und Strafen) eingehend
untersucht werden.
Das Augenmerk richtet sich dabei auf die Transformationen historisch verschiedener
Strafpraktiken. Die Genealogie der körperlichen Marter, Seelenprüfung
und Einsperrung
zeigt beispielhaft die Entwicklung von einer souveränen Macht der Rache
zu einer moder-
nen Macht der Einschließung.
Die folgenden Abschnitte beschreiben die drei Techniken der modernen Disziplinar-
macht, des Panoptismus und der Normalisierungsmacht, die auf die Körper
und die Seelen
der einzelnen Individuen einwirken. Dabei soll nicht unberücksichtigt bleiben,
daß sich
diese drei Mikro-Praktiken nicht vollkommen voneinander trennen lassen.
Bei der Untersuchung von Der Wille zum Wissen wird
am Beispiel der Sexualität ge-
zeigt, wie sich die Macht durch die Repressionshypothese maskiert. Durch den
psycho-
logischen Geständniszwang dringt die Macht bis in die intimsten Bereiche
der Individuen,
diese glauben allerdings, daß es sich dabei um ihre "Befreiung" handelt.
Nach einer kur-
zen Darstellung des Dispositivbegriffs, der die Verbindung von Macht und Wissen
durch
diskursive und nicht-diskursive Strategien bzw. Praktiken bezeichnet, wird schließlich
die
moderne Bio-Macht vorgestellt, deren Politik globale Auswirkungen auf die "Bevölke-
rung" hat. Diese Macht, die das Leben im Gesellschaftskörper produziert,
löst die souve-
räne Todesmacht ab. Das juridische Prinzip der Souveränität bleibt
aber erhalten. Durch
das Sexualitätsdispositiv mit seinen vier strategischen Komplexen übt
die Bio-Macht Kon-
trolle über die Verhaltensweisen der Individuen aus, die sich nun im Kontext
eines staat-
lichen Zusammenhangs begreifen sollen.
Gegenstand von Foucaults späten Analysen ist die Macht
in Beziehung zur Regierung.
Im Unterschied zu Hinrich Fink-Eitel behauptet die vorliegende Arbeit keinen
"Bruch"
oder eine völlige Abwendung Foucaults von seinen Untersuchungen der Macht
(vgl.
Schema 1). Die "drei großen Instanzen", d. h. Wissen, Macht und
Subjektivität, sind Vari-
ablen, die immer wieder in Foucaults Schriften thematisiert werden und sukzessive
an
Kontur gewinnen. Durch die Erweiterung der Genealogie, die bis dahin nur die
Zusam-
menhänge von Macht und Wissen untersuchte, um den Bereich der Subjektivität,
läßt sich
die antike Regierung des Selbst mit der modernen Regierung von "Bevölkerungen"
ver-
gleichen. Darauf soll die Frage erläutert werden, wie es zu der diskontinuierlichen
Ent-
wicklung von der "Herrschaft über sich selbst", über die Pastoralmacht
zur "Gouverne-
mentalität", d. h. zur Macht des Staates über "Bevölkerungen"
kommen konnte. Diese
Arbeit kann zu diesem Themenkomplex auf neueste Übersetzungen von Foucaults
Schrif-
ten (Die Gouvernementalität, Staatsphobie, In Verteidigung der Gesellschaft)
zurück-
greifen.
Schließlich soll noch dargestellt werden, wie Foucault
von der Kritik aufgenommen
wurde. Außer der viel zitierten und diskutierten Kritik von Jürgen
Habermas wird auch die
feministische Aufnahme von Foucaults Analysen berücksichtigt. Neben einer
partiellen
oder völligen Ablehnung mancher feministischer Theoretikerinnen, fanden
seine Unter-
suchungen gerade bei den Gender Studies dankbare Anknüpfungspunkte,
die zu Selbst-
kritik und Erweiterungen von Foucaults Analysen Anlaß gaben.
Nach einer kurzen Übersicht über weitere Kritikpunkte
an der genealogischen Analytik
folgt ein Essay, das danach fragt, wie sich Widerstand ohne normative Legitimation
und
ohne transzendentales, transhistorisches Stifter-Subjekt begründen läßt.
Ausgehend von
Foucaults Analysen sollen gangbare Auswege gesucht werden, wie man der omniprä-
senten Macht entgehen oder Widerstand gegen sie leisten kann. Der letzte Teil
der Arbeit
versteht sich nicht als "streng wissenschaftliche" Darstellung von Foucaults
Ansichten,
sondern als ein Versuch, mögliche Antworten auf Fragen, die sich immer
wieder bei der
Beschäftigung mit dieser fast hermetischen Machtkonzeption stellen, zu
geben.