Auch die Architektur der Gebäude ist Teil der Disziplinartechnolgien,
die Foucault als
Parzellierung der Individuen und Raumordnung der Macht bezeichnet (vgl. ÜuS
222). Das
von dem utilitaristischen Sozialphilosophen Jeremy Bentham entwickelte Panoptikon
ist
für ihn der Idealtyp einer Architektur, in welcher die Machttechniken der
Disziplinar-
gesellschaft wirken. Das Panoptikon übernimmt im Gesellschaftskörper
eine verallge-
meinerte Funktion (vgl. ÜuS 267), denn "es ist das Diagramm eines auf seine
ideale Form
ausgerichteten Machtmechanismus", "eine politische Technologie" (ÜuS 264).
In diesem Gefängnismodell befindet sich der Gefangene
in einer permanenten Über-
wachungssituation. Die Einzelzellen sind ringförmig um eine Überwachungsturm,
der sich
in der Mitte des Gebäudes befindet, angeordnet. Im Gegensatz zu den Beobachtern
im
Turm, die nie gesehen werden können, können die Insassen der nach
beiden Seiten offe-
nen Zellen dauernd überwacht werden. Die Unsichtbarkeit des Beobachters,
der zu jeder
Zeit anwesend sein kann, führt dazu, daß der Gefangene die Überwachung
internalisiert:
Er wird zu seinem eigenen Überwacher.
Das panoptische Gefängnis ist eine "wundersame Maschine"
(ÜuS 260), die von einer
"Ordnung des Lichts" und der Sichtbarkeit bestimmt wird. Sie ist beinahe stumm
und
blind, "obgleich sie es ja ist, die zum Sehen oder Sprechen bringt." Schließlich
geht es
darum, der menschlichen Mannigfaltigkeit eine Verhaltensweise aufzuzwingen.
Das pan-
optische Diagramm hat die reine Disziplinarfunktion der "politischen Anatomie".
Diese ökonomische "Perfektion der Macht" kann ihre tatsächliche
Ausübung überflüssig
machen (vgl. ÜuS 258). Damit stellt das Panoptikon "eine direkte Beziehung
zwischen
Machtsteigerung und Produktionssteigerung" (ÜuS 265) her. Die Architektur
erspart Ko-
sten, die entstünden, wenn man mehr Personal, Material und Zeit bei der
Überwachung
aufwenden müßte. Eine panoptische Machtarchitektur ist unsichtbar
und diskret (d. h. sie
verursacht wenig Widerstand), intensiv und lückenlos (vgl. ÜuS 280).
Sie beobachtet die
Kranken, kontrolliert die Kinder und überwacht den Arbeiter. Bentham dachte
also nicht
nur an einen Einsatz des Mechanismus bei Gefängnissen, sondern an alle
Gebäude bei
denen Menschen inspiziert werden müssen: Spitäler, Schulen, Fabriken,
Irrenanstalten,
Arbeits- und Armenhäuser. Das "Laboratorium der Macht" (ÜuS 263) dient
der Korrek-
tur, Überprüfung und Dressur der Individuen.
Der architektonische Apparat übernimmt hier Funktionen
der hierarchischen Über-
wachung, der normierenden Sanktion und der Prüfung. Daher ist es nicht
richtig, darin
lediglich das Kontrollprinzip von abgeschlossen Institutionen zu erkennen; "längst
hat sich
der 'Panoptismus' in die verstecktesten Winkel unserer Lebenswelt, unserer Gefühle
und
Gedanken, unserer Identitäten hinein fortgebildet."
Die "gesichtslose Macht" des Panoptismus individualisiert ihre
"Objekte", indem sie
sie immer neuen Sanktionen, Messungen, Beobachtungen und Experimenten aussetzt.
Die
"Subjekte", die tatsächlich die Macht ausüben, verschwinden oder werden
bedeutungs-
los. Ein anonymer Blick nimmt die Position des Königs und seiner Repräsentanten
ein. In
der neuen Maschine ist die Macht vollkommen "automatisiert und entindividualisiert"
(ÜuS 259). Selbst die Überwacher können Objekte der Überwachung
werden, jeder in
der gesamten "demokratischen" Gesellschaft hat das Recht, jeden beliebigen zu
beobach-
ten und von jedem beobachtet zu werden (vgl. ÜuS 266).
Die Stelle an der einst der Souverän als Repräsentant
der Staatsmacht stand, wird nun
nicht mehr ausgefüllt, der Platz der unterworfenen Subjekte füllt
sich dagegen an. Fou-
cault beschreibt das Ende der repräsentativen Macht. Die moderne Macht
befindet sich in
den Köpfen und Körpern der "freien" und disziplinierten Individuen
(vgl. DdM 189). Für
den französischen Historiker wirkt die abendländische Machttechnik
folgendermaßen auf
die unterwerfenden Untertanen:
Diese Form von Macht wird im unmittelbaren Alltagsleben spürbar,
welches das
Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt,
es an seine
Individualität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahrheit auferlegt, das es anerkennen
muß und das andere in ihm anerkennen müssen. Es ist eine Machtform,
die aus
Individuen Subjekte macht (SM 246).