Allegorie

In dieser Nacht klopfte ein Bär an der Tür und bat um Eintritt in mein Zimmer. Er behauptete, ich hätte ihn zum Dienst gerufen, ein Irrtum wäre ausgeschlossen. Darauf setzte er sich neben mich auf einen Stuhl am Rande des Ofens und verlangte von mir, daß ich eine Geschichte für ihn schreiben sollte.

Das Tier wollte mir Worte einflüstern, die ich unbedingt verwenden mußte. Doch seine Worte waren rätselhaft und ergaben für mich keinen Sinn. Bis in die tiefe Nacht überlegte ich, was ich schreiben könnte, doch es wollte mir kein Satz gelingen, meine Worte liefen mir davon. Der große Bär beobachtete mich dabei mit schulmeisterlicher Genauigkeit und spähte immer wieder auf das Ziffernblatt der Pendeluhr. Er sah, wie ich mich sinnlos an der Stirn kratzte, als wollte ich das Wortgeflecht aus meinem Kopf reißen.

Ich wußte nicht, ob es wirklich so wahr, aber der Bär schien ungeduldig zu werden. Die finstere Gestalt schaute mir über die Schulter, ich bekam ein mir bis dahin unbekanntes Gefühl der Angst. Mir blieb die Luft weg, und ich drohte zu ersticken. Der Bär wollte dagegen unbedingt seine Geschichte haben. Aber wie sollte ich heute seine schöne Geschichte schreiben? An einem anderen Tag wäre es vielleicht möglich gewesen. Gleichwohl thronte er jetzt dort und erhob Anspruch auf eine zusammenhängende, stimmige Geschichte, die er mit philiströser Engstirnigkeit einforderte. Jede Silbe mußte wohl überlegt sein, um nicht den Zorn meines unheimlichen vermummten Gasts auf mich zu ziehen. Doch ich erregte statt Mitgefühl nur Bärengelächter.

Der Bär lachte, pfiff, schnaufte und Speichel lief aus seinem Mund. Er war ermächtigt, mit seinem Maul anmaßende Worte und Lästerungen auszusprechen. Ob er mich fressen und mit seinen Tatzen zerreißen wollte? Es hieß, er soll schon Tausende verschlungen haben.

Das Feuer im Ofen brannte beständig; Holzgeknister erinnerte mich an das Brechen von Knochen. Ich spürte nur den kalten Atem des Riesen, der mich zu seinem Bärentanz drängte und mich zu einem Popanz machte, weil er mich zu einem anderen Denken dressieren wollte. Schließlich hatte der Bär eine Acht über mich ausgesprochen: Wer zur Gefangenschaft bestimmt ist, der wird getötet werden. Ich war verhaftet und vogelfrei.

In einem hoffnungsvollen Moment wünschte ich mir, daß sein Fell Feuer fangen sollte und er für immer von hier verschwände. Dabei sehnte ich jemanden herbei, der mir die Ketten sägte, die ich mir zuvor widerspruchslos anlegen ließ.- Mein Wunsch blieb unerhört. Es gelang mir nichts. Ich sollte besser brennen. Und ich brannte schon. Der Bär war zufrieden.



27.9.1999
(c) Marc C. Jäger
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