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Warum
Foucault?
Michel
Foucault ist ein maskierter Philosoph. Es scheint so als hätte er
keine eigene Meinung zu dem, was er analysiert; er „argumentiert“
nicht für etwas. Er spricht von einem Ort aus, an dem es keine fixierbare
„Wahrheit“ gibt. Foucault läßt sich in kein altbekanntes
Denkschema einordnen. Als Archivar sammelt er in Bibliotheken vielfältige
Materialien, um z. B. die Entstehung von verschiedenen Wissensbereichen,
Institutionen und Begriffen zu untersuchen (z. B. des Strafvollzugs, des
Diskurses über den Wahnsinn, der Kliniken, von wissenschaftlichen
Ordnungssystemen, von „Normalität“, von dem, was wir
unter „Sexualität“ verstehen und nicht zuletzt des Subjekts).
Vielen
ist Michel Foucault durch die These bekannt, daß er die Macht als
etwas beschreibt, das überall ist; sie ist ein Netz, das alle Beziehungen
durchläuft. Aber was bedeutet das? Seine Ansichten werden deutlicher,
wenn man betrachtet, was Foucault von anderen Denkweisen der Macht unterscheidet.
Für die Marxisten kann Macht nur von einer meist reichen, herrschenden
Klasse, welche die nötigen Produktionsmittel besitzt, ausgeübt
werden. Für viele Feministinnen der 70er Jahre war Macht etwas, was
die Männer besaßen. Diese Theoriemodelle müssen sich allerdings
auf eine stabile, klar abgrenzbare, einheitliche Identität verlassen
können. Die Anhänger solcher Modelle können scheinbar immer
klar zwischen „herrschender Klasse“ und „Ausgebeuteten“,
„schwul“ und „lesbisch“, „normal“
und „wahnsinnig“ (bzw. „anomal“), „männlich“
und „weiblich“ unterscheiden. Für Foucault wird die Macht
aber von niemandem „besessen“ (außerdem lehnt er solche
binären Oppositionen ab). Sie
wird von bestimmten Menschen in spezifischen Situationen ausgeübt.
Dieses Handeln löst neue produktive Handlungen aus, stößt
aber auch auf Widerstände durch bestimmte Menschen in spezifischen
Situationen, die wiederum produktiv sind. Machtausübung ist also
nicht auf bestimmte Gruppen oder Identitäten eingeschränkt.
Sie ist allerdings auch nicht „die bestverteilte Sache der Welt“.
Diese Position paßt auch gut zu neuen feministischen Theorien, die
nicht mehr davon ausgehen, daß „die Frauen“ eine einheitliche
Gruppe sind. Sie erklären z. B., daß eine weiße Mittelklasse-Frau
ganz andere Interessen und Sichtweisen hat als eine weniger privilegierte
Frau in der Dritten Welt.
Poststrukturalistische
Theorien, die sich an Foucault orientieren, bieten keine globalen „Lösungen“
an. Sie verstehen sich eher als Möglichkeiten zur Kritik an bestehenden
(marxistischen, feministischen usw.) Modellen. Dabei wollen sie den Widerständigen
Material für spezifische Kämpfe in die Hände geben. Es
geht ihnen nicht darum, „berechtigten“ (diese Formulierung
ist vielleicht zu normativ) Widerstand von verschiedenen „Gruppen“
(wie Frauen, Globalisierungsopfer, Schwule usw.) mit dem Argument, daß
sie ja auch Macht besitzen oder eigentlich nicht existieren, zu behindern,
sondern darum, diesen Widerstand wirkungsvoller, komplexer, weniger einschränkend
und ausschließend zu machen.
An
Foucault ist auch interessant, daß es bei ihm keine festen Identitäten
gibt. In unseren sozialen Beziehungen ändern sich unsere Verhaltensweisen
ständig und werden durch andere Individuen beeinflußt. Foucault
beschäftigt sich in seinem Spätwerk damit, wie man mittels bestimmter
Techniken sich selbst ausarbeiten kann, ohne dabei auf die vorgegebenen,
durch Normalisierung und Disziplinierung entstandenen, Rollenmodelle zurückgreifen
zu müssen.
Wir können nicht ohne die in uns „eingeschriebenen“ Konstrukte
von Identität existieren, von ihnen hängt unser Status als Subjekt
ab. Bei Judith Butler, die Foucaults Analysen kritisch weiterführt
und modifiziert, vollzieht sich Identität als ein performativer Akt
(d. h. indem ich handle, durch mein wiederholtes Handeln, entsteht meine
Identität). Es gibt für sie keine „Essenz“ oder
einen „Ursprung“ zu dem wir zurückkehren können
(d. h. wir können kein „eigentliches Selbst“ in uns finden
oder „authentisch“ sein). Wir sind immer schon in der Falle
mächtiger Diskurse.
Michel
Foucault ist für mich deshalb so bewundernswert, weil...
-
er die Aufmerksamkeit auf Dinge lenkt, die uns als „natürlich“
und „normal“ erscheinen und ihren Konstrukt-Charakter schon
völlig verloren haben
- er uns erklärt, daß man eine zugeschriebene Identität
nicht als „Schicksal“ akzeptieren muß
- er metaphysisches Denken aus seiner Philosophie verbannt
- er herkömmliche Sichtweisen verkehrt, auf den Kopf stellt, hinterfragt
und dadurch vollkommen neue Perspektiven eröffnet
- seine Philosophie keinen Zustand des „vollkommenen Glücks“,
keine vorgefertigten „Lösungen“ verspricht und somit
realistischer ist
- seine Bücher wunderbar geschrieben und spannend zu lesen sind
- er den Blick zunächst auf das Alltägliche und kleine Strukturen
richtet, um daraus globalere Zusammenhänge zu begreifen
- er sich dafür einsetzt, daß die Ausgeschlossenen eine Stimme
bekommen (z. B. die Individuen, welche nicht durch eine große Lobby
oder Institutionen „repräsentiert“ werden)
- seine Analysen einen wichtigen theoretischen Beitrag für die Queer-Bewegung,
neue soziale Bewegungen und nicht-organisierten (z. B. anarchistischen)
Widerstand leisten
- er uns durch seine historischen Analysen einen kritischen Blick auf
die Gegenwart ermöglicht
- den Mut hatte, Sackgassen seines Denkens zu verlassen, geplante Projekte
zu verwerfen, um neue Pfade zu finden
(diese
kleine Aufzählung wird wahrscheinlich noch weitergeführt)
Marc Jäger, Juni 2002
(Fotos von Ulrich Raulff.
Die Bilder zeigen Foucault bei einem Vortrag im Berliner Kino Arsenal)
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