FOUCAULT-AUSSTELLUNG IM SCHWULEN MUSEUM, BERLIN

Zum zwanzigsten Todestag von Michel Foucault macht es sich das Schwule Museum in Berlin zur Aufgabe, Ausschnitte und Stationen aus Leben und Philosophie eines der bedeutendsten und einflussreichsten Philosophen Frankreichs in einer Ausstellung nachzuzeichnen. Foucaults komplexes Werk sträubt sich gegen eine Darstellung in einigen kurzen Schlagworten. Dennoch gingen die Kuratoren des Schwulen Museums das Wagnis ein, in einer Art Collage Foucaults Denken und Leben, das man meist nur aus Büchern kennt, anschaulicher und bildhafter zu machen.

 

 

Die Ausstellungsräume des kleinen Museums sind mit Zitaten Foucaults tapeziert, die Exponate (Fotos, Filme, Bücher, Zeitungsseiten usw.) sind nicht chronologisch angeordnet, sondern nach bestimmten „Themenbereichen“ seines Leben aufgeteilt. Es gibt keinen vorgezeichneten Weg, sondern der Besucher kann sich seinen eigenen Pfad durch die Ausstellung bahnen. (Empfehlenswert sind auch Wolfgang Theis’ Führungen, die jeden Mittwoch ab 19 Uhr stattfinden. Dieser Artikel zeichnet die Spur nach, die ich zusammen mit ihm und einigen Besuchern verfolgt habe.)

 

Zunächst fällt der Blick auf Fotos der beiden Foucault-Biographen Didier Eribon und James Miller, die in Holzrahmen am Eingang des Museums hängen. Sie stehen repräsentativ für eine Foucault-spezifische biographische Problemstellung, der man begegnet, wenn man sich Foucaults Leben und Werk annähern möchte. Eribons Biographie hält sich an akribisch dokumentierte Fakten, konzentriert sich auf die Entwicklungen und Einschnitte in seinem Werk. Der Amerikaner Miller hingegen versucht weitestgehend, Foucaults Werke im Hinblick auf seinen Sado-Masochismus, sein Leben als Schwuler und seine Drogenerfahrungen zu betrachten.

 

 

Die Foucault-Ausstellung im Schwulen Museum gibt der schwulen Existenz des Philosophen ein leichtes Übergewicht, was zum einen sicherlich an der Institution eines solchen Museums liegen mag, zum anderen lässt sich die theoretische Kost nur schwer bildlich darstellen. Darüber hinaus will man auch Nicht-Kennern poststrukturalistischer Philosophie den Zugang zu seinen vielschichtigen Werken ermöglichen. Drei Fotos von Foucault zeigen drei verschiedene Wege, sich seinem Denken anzunähern: als Professor für die Geschichte der Denksysteme am Collége de France, als Demonstrant und Kämpfer für die Rechte von Unterdrückten und schließlich als Privatperson (die sich erst sehr spät zu ihrem Schwulsein bekannte).

 

 

An den zwei Säulen in der Mitte des ersten Raums hängen - wiederum in einer Collage - verschiedene Fotos von Jean-Paul Satre und Michel Foucault. Das schwierige Verhältnis, geprägt von Ignoranz und Abscheu, zwischen den beiden wichtigsten französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts wird in Textauszügen aus Interviews und privaten Aussagen belegt.

 

 

 

Eine Bilderwand ist Foucaults Engagement gewidmet: Verschiedene Fotos mit Zitaten dokumentieren seinen Einsatz für die Belange der vietnamesischen Boatpeople, seine Haltung gegen den Schah von Persien und für die fundamentalistische Revolution im heutigen Iran, seinen Gemeinsinn mit der Solidarnosc-Bewegung in Polen, sein Demonstrieren für die Rechte von Einwanderern und gegen Rassismus, sein Bekenntnis zur Frauen- und Homosexuellen-Bewegung, seine Sympathie für Anarchisten und Dissidenten und nicht zuletzt sein großes Engagement die 'Gruppe Gefängnisinformation' (G.I.P.) gegen die Einsperrung in Psychiatrie und Gefängnisse.

Die Grafitti-Sprüche aus der 68er-Zeit (z.B. aus dem Pamphlet „Intolérable“) auf der Wand daneben zeigen, dass es Foucault nicht nur um seine historischen Analysen, sondern auch um Praxis, um militanten Kampf und Einsatz ging.


Ein weiterer Themenbereich ist Foucaults freundschaftlichen Einflüssen gewidmet. Bis auf den Schriftsteller Raymond Roussel handelt es sich dabei um Zeitgenossen, die eine große wissenschaftliche Wirkung auf ihn hatten, ihn begleiteten, ihm Hilfestellung gaben, ihn zum Gedankenaustausch anregten: Roland Barthes, Gilles Deleuze, Louis Althusser, sein Freund Daniel Defert, Georges Dumézil, seine Liebe Jean Barraqué u.a.

 

 

Büsten und Bilder von Karl Marx, Sigmund Freud und Friedrich Nietzsche verweisen auf die wichtigsten philosophischen Einflüsse in der Frühphase Foucaults. Sie blieben für ihn immer theoretische Reibungspunkte für seine Analysen. Dabei wird auch sein kurzzeitiger Eintritt in die Kommunistische Partei Frankreichs sowie seine Abkehr vom Parteikommunismus angerissen. Interessant fand ich die These des Kurators, dass Foucaults Schwulsein ihn vielleicht auch zum Austritt bewogen haben mag, da viele K.P.F.-Mitglieder Homosexualität für die Hervorbringung einer dekadenten Bourgeoisie hielten.

 

 

Einige Rohrschachtests, die Foucault als Psychologie-Professor mit seinen Studenten liebend gern durchführte, finden sich in einer Ecke des Ausstellungsraums. Eine Anekdote hielt Wolfgang Theis für diese psychologische Spielerei ebenfalls bereit: Angeblich benutzte Foucault die Tests auch um herauszubekommen, ob seine jungen Studenten schwul waren oder eine „verdrängte“ homosexuelle Neigung aufwiesen.

 

Ein kleiner „Darkroom“, in dem Schwulenpornos unentwegt auf einem Fernsehgerät laufen, stellt den „kontroversesten“ Part der Ausstellung dar. Der Raum soll an Foucaults Erfahrungen und Entdeckungsreisen durch die Schwulen- und SM-Szene San Franciscos erinnern. Problematisch scheint die Installation dadurch zu werden, dass Interessierte, welche seine Bücher kaum kennen, auf den Gedanken kommen könnten, sein Werk ließe sich darauf reduzieren oder begründen. Foucaults Äußerungen zu SM und zur gegenwärtigen Unterdrückung/Hervorbringung von „Homosexualität“ sind tatsächlich sehr begrenzt und machen eher einen geringen Teil seiner gesamten Schriften aus. Auf der anderen Seite wäre es aber wenig sinnvoll, diesen Erfahrungsbereich Foucaults völlig aus einer Ausstellung, die sich mit seinem Leben beschäftigt, zu verbannen und zu verwerfen.

 

In der Mitte des ersten Raums befindet sich eine Anordnung von verstellbarem Stuhl, Kamera und Maßstab. Sie steht stellvertretend für Foucaults genealogische Beschäftigung mit den Anfängen der Kriminologie und des modernen Disziplinierungs- und Überwachungsapparats. Kontrastiert wird die Installation durch zwei Bilder, die das Horrorszenario der öffentlichen Hinrichtung des Königsmörders Robert Francois Damiens im 18. Jahrhundert darstellen.

 

Daneben sind Pläne und Entwürfe angebracht, die man bereits aus Foucaults Hauptwerk „Überwachen und Strafen“ kennt (z.B. das Muster für ein panoptisches Gefängnis nach Vorstellungen des Utilitaristen Jeremy Benthams).

 

Zahlreiche Bilder mit Zitaten von erbitterten Kritikern (wie Jürgen Habermas, Camille Paglia) und Wohlgesinnten (Judith Butler, Gilles Deleuze usw.) stehen für die vollkommen unterschiedliche Rezeption und Bewertung seiner Theorie. Sehr amüsant ist m.E. das Zitat von Paglia über Foucaults Wirkung im geschichts-theoretischen Diskurs, das ich an dieser Stelle paraphrasieren möchte:

 

 

„Was wir brauchen, verstehen Sie, ist eine wirklich systematische Ausbildung in der politischen Wissenschaft und der Geschichte. Es ist offensichtlich, dass es dafür jetzt einen Bedarf gibt. Es gab in der Folge der sechziger Jahre einen Appetit auf Geschichte, aber die Leute im akademischen Betrieb waren nicht gewillt, die notwendige Arbeit zu tun, um die Geschichte und die Anthropologie zu beherrschen. Hingegen war es eher so: „Hey, wir brauchen Geschichte! Mal schauen. Oh- da ist Foucault!” So war das ungefähr. Ungefähr so wie bei Enten, wenn sie geboren werden, - das erste Ding, was sie sehen, verstehen Sie? Wenn sie also einen Staubsauger sehen, dann denken sie, es wäre ihre Mutter. Sie folgen dem Staubsauger. Das war es, was passierte. Foucault war der Staubsauger, dem jeder folgte.“

 

 

Auch bildende Künstler haben sich dem französischen Philosophen gewidmet und ihn portraitiert. Sowohl das Aquarell des Berliner Fotographen und Malers Rinaldo Hopf, auf dem seine ernsten Gesichtszüge auf den Buchseiten von „Die Sorge um sich“ erscheint, sowie Maurice Henrys berühmte Karikatur „Das Treffen der Strukturalisten“ (mit Foucault, Lacan, Lévi-Strauss, Barthes), das man auf eine große Wand appliziert hat, lassen nur erahnen, welchen großen Einfluss Foucault auf viele Künstler unserer Zeit hatte.

 

 

Im zweiten Raum der Ausstellung finden sich Bücher, Zeitungsausschnitte (z. B. aus der taz und der Libération) sowie Fotos aus einer von Foucault angeregten und von Rolf Italiaander organisierten Ausstellung mit Kupferstichen afrikanischer Künstler im Hamburger Institut Francais. Ein beleuchteter Glasschrank mit Foucaults Büchern verschafft einen Überblick über Foucaults Veröffentlichungen, die zumeist beim Frankfurter Suhrkamp-Verlag und beim kleinen, aber sehr engagierten Berliner Merve-Verlag erschienen sind.

Nicht nur das Leben, sondern auch der Tod Foucaults hat einen Platz in der Ausstellung. Nach seinem Tod am 25. Juni 1984 machte das Gerücht die Runde, dass er an der damals noch recht neu in der Öffentlichkeit auftauchenden Krankheit Aids gestorben sei. Ein - dem Denker eigentlich wohlgesonnener Redakteur - wollte ihn verteidigen und schrieb in seinem Nachruf: „Angesichts des Gerüchts bleibt man verwirrt. Als ob Foucault aus Scham hätte sterben müssen.“ Die Leserschaft reagierte empört, denn warum hätte sich Foucault für eine HIV-Infektion schämen müssen? In Wirklichkeit ging es aber darum, den Philosophen in einer Zeit, in der man in Schweden und Bayern über die Internierung und Wegsperrung von HIV-Infizierten nachdachte, postum vor eventuellen Angriffen in der Zukunft zu schützen.

Neben die verschiedenen Szenenfotos aus Filmen der beiden Vertreter des „neuen deutschen Kinos“, den Regisseuren Werner Schröter („Der Tod der Maria Malibran“) und Rainer Werner Faßbinder, die Foucault besonders wegen ihrer Darstellung der Frauenfiguren sehr schätzte, reiht sich die Bildserie „Zufällige Begegnung“ von Duane Michaelis. Weitere Fotographien zeigen Foucault in der Redaktion des Merve-Verlags in Berlin, die er immer wieder persönlich besuchte.

Daneben hängt ein Kinoplakat, das einen Film über den Elternmörder Pierre Rivière ankündigt. Foucault schrieb selbst über Rivière, sein Dossier über den normannischen Bauernjungen diente als Vorlage für das Drehbuch von René Allios Film. Die berühmte Bilderserie des Foucault-Übersetzers und Süddeutsche-Zeitung-Redakteurs Ulrich Raulff, die den begeistert gestikulierenden Philosophen bei der Ankündigung des Rivière-Films im Berliner Arsenal-Kino zeigt (und nicht etwa wie oft als Bildunterschrift zu lesen ist, bei einem Vortrag in Japan), kann man hier wiederentdecken. Wer Foucault (und seinen unnachahmlichen Vortragstil) selbst einmal in bewegten Bildern sehen möchte, ist in dieser Ausstellung dazu eingeladen, sich eine NDR-Dokumentation über den Denker anschauen.

Bilder aus den 70er und 80er Jahren, die viele Leser nur in schwarz-weiß kennen, können hier als verblassende Farbfotos betrachtet werden: Foucault mit Defert bei einer japanischen Meditation, im Morgenmantel vor dem heimischen Bücherregal, in eine schwarze Motorradlederjacke gekleidet bei einem Spaziergang in Freiburg, bei seinem – eigentlich recht harmlosen - Drogentrip in Death Valley.

 

 

 

Am Ende der Ausstellung steht Foucaults kuriose Begegnung mit der deutschen Polizei und Justiz. Im Dezember 1977 wurden er und sein Freund Daniel Defert vor dem Berliner Hotel „Vier Jahreszeiten“ mit Maschinengewehren umstellt, da man die Merve-Lektorin Adelheid Paris mit der Terroristin Inge Viett verwechselt hatte. Fahndungsplakate, ein Text des damaligen Terroristen-Anwalts Otto Schily und ein Zitat Foucaults dokumentieren diesen Vorfall. Der vermeintliche Terrorist kommentierte das Verhalten der deutschen Polizei und der Denunzianten folgendermaßen:

„Der im Westen tut alles, um klar zu machen, dass er auf Anforderung eingegriffen hat. Seine Amtsgewalt wird ihm durch die Anzeige verliehen. Wenn sie festgenommen werden, bedeutet das, dass sie jemandem Angst gemacht haben oder dass ihr Gesicht diese Person an etwas erinnert hat. Beklagen Sie sich nicht über die Polizei, sie steht im Dienste der Ängste irgendwelcher Leute, ihrer Wahnvorstellungen, ihrer Abscheu. Sie greift ein, wie die Feuerwehr bei Gasgeruch, nämlich sobald es schlecht riecht.“

Die Ausstellung im Schwulen Museum Berlin versucht dem interessierten Betrachter einen - sicherlich begrenzten - Einblick in die Denk- und Lebenswelt von Michel Foucault zu gewähren. Die wechselnden Interessen und Umbrüche in Foucaults Leben und die unterschiedlichen Reaktionen auf sein Werk bekommen ein collagenartiges Bild. Er wird gezeigt in seiner ganzen Vielschichtigkeit: als Straßenkämpfer, umstrittener und bewunderter Denker, als schwuler Lebenskünstler, als scharfer Analyst und Kritiker, als engagierter Philosoph. Foucault ist auch zwanzig Jahre nach seinem Tod immer noch aktuell im theoretischen Diskurs. Ein Denker an dem niemand, der sich ernsthaft mit der Philosophie des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, vorbeikommt.

 

Die Ausstellung ist sowohl für Interessierte, die mit seiner Theorie noch recht unvertraut sind, als auch für „Eingeweihte“ lohnenswert. Besonders möchte ich noch einmal auf die wöchentlichen Führungen durch das kleine Museum hinweisen. Noch bis zum 18. Oktober 2004 hat man die Möglichkeit, sich die Ausstellung anzuschauen. Darüber hinaus möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass das Schwule Museum eine Dauerausstellung zum Thema „Homosexualität und Unterdrückung“ plant, für die sicherlich noch Spenden gebraucht werden können.

Marc-Christian Jäger, September 2004

Michel Foucault-Ausstellung
Hommage zum zwanzigsten Todestag
16. Juni 2004 bis 18. Oktober 2004
Schwules Museum Berlin
Mehringdamm 61
10961 Berlin-Kreuzberg

Ausstellungsbüro:
Telefon +49-30-69599050
Fax +49-30-61202289
www.schwulesmuseum.de

Öffnungszeiten:
tägl.außer Di
14 bis 18 Uhr
Sa bis 19 Uhr
Führungen: mittwochs ab 19 Uhr

Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro

 

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