Michel Foucault - Eine Kurz-Biographie

Auch wenn Foucaults biographische Daten wenig zum Verständnis seiner Werke beitragen können, will ich an dieser Stelle die wichtigsten Stationen in Foucaults Leben gedrängt, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und sehr un-foucaultianisch, zusammenfassen. Foucault selbst fand sein Leben nicht sonderlich interessant, wichtiger waren für ihn die Erfahrungen, die er beim Schreiben seiner Bücher machte:

„Ich denke niemals völlig das gleiche, weil meine Bücher für mich Erfahrungen sind, Erfahrungen im vollsten Sinne, den man diesem Ausdruck beilegen kann. Eine Erfahrung ist etwas, aus dem man verändert hervorgeht. [...] Ich schreibe nur, weil ich noch nicht genau weiß, was ich von dem halten soll, was mich so sehr beschäftigt.“ (ME 24)

Aber für seine Schriften gilt auch: „Was ich geschrieben habe, sind keine Rezepte, weder für mich, noch für sonst jemand. Es sind bestenfalls Werkzeuge – und Träume.“ (ME 25)

Michel Foucault wird am 15. Oktober 1926 in der französischen Stadt Poitiers geboren. Sein Vater, ein angesehener und wohlhabender Arzt, hat für seinen Sohn eine ähnlichen beruflichen Werdegang vorgesehen und schickt den jungen Foucault auf renommierte Schulen. Nachdem er von der Saint-Stanislas Schule in Poitiers abgeht, besucht er bis 1945 das Lycée Henri IV in Paris. Die katastrophalen Erfahrungen des Krieges während seiner Schulzeit prägen sich in das Gedächtnis des jungen Foucault ein. In Erinnerung bleiben ihm z. B. die Ermordung von Kanzler Dollfuß durch die deutschen Faschisten, die Ankunft von spanischen Flüchtlingen in Poitiers und ein Streit mit Klassenkameraden über den Äthiopienkrieg.

Im Jahr 1946 tritt Foucault sein Studium an der Elite-Universität École normale supérieure in der rue d’Ulm an, da er im Jahr zuvor nicht den nötigen Aufnahmetest bestand. Während des Philosophiestudiums begeistert er sich für den Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty, seine Mitschüler sind u. a. Paul Veyne und Pierre Bourdieu. Foucault wird Schüler und Freund von Louis Althusser; Merleau-Ponty macht ihn mit den Schriften des damals noch recht unbekannten Linguisten Ferdinand de Saussure bekannt. Anfang 1949 beendet er seine Diplomarbeit über G. W. F. Hegel, die von Jean Hyppolite betreut wird. Dem Diplom in Philosophie (1948) folgen weitere Diplome in Psychologie (1949) und Psychopathologie (1952); 1951 erlangt er das Staatsexamen in Philosophie. Dieser Zeitabschnitt ist bestimmt von persönlichen Krisen, die ihn zu zwei Freitodversuchen führen. Für zwei Jahre (1950-1952) tritt Michel Foucault der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF bzw. PCF) bei, doch er zeigt sich bald enttäuscht und distanziert sich vom Partei-Kommunismus.

1954 verfaßt Foucault seine ersten beiden Arbeiten: Die Einleitung zu Traum und Existenz von Ludwig Binswanger sowie das Buch Geisteskrankheit und Persönlichkeit (bei Suhrkamp später unter dem Titel Psychologie und Geisteskrankheit erschienen). Foucault beschäftigt sich in dieser Zeit ausführlich mit Martin Heideggers (seit ca. 1951), Sigmund Freuds und Friedrich Nietzsches Schriften (seit 1953). Letzterer ist neben Heidegger, Bataille und Hegel vermutlich einer seiner wichtigsten philosophischen Einflüsse. Nach der Arbeit an der école normale in Lille als Assistent für Psychologie und Repetitor für Philosophie, verläßt Foucault Frankreich, um die Leitung des Maison de France im schwedischen Uppsala zu übernehmen. 1955 lernt er bei einem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Paris Roland Barthes kennen, mit dem ihm bis zu dessen Ableben eine Freundschaft verbindet. Foucaults Aufenthalt in Schweden währt bis 1958, danach folgt jeweils ein Jahr an den Universitäten von Warschau und Hamburg. Als er 1960 nach Paris zurückkehrt, kann er sein erstes Hauptwerk Wahnsinn und Gesellschaft abschließen. In diesem Buch stellt Foucault fest, daß der Wahnsinn, wie wir ihn kennen, nicht ohne sein Anderes, die Vernunft (und ihr Zeitalter), existieren kann. Seine historischen Analysen weisen nach, daß Vernunft und Unvernunft untrennbar aneinander gebunden sind. Foucault promoviert mit seiner Thèse Histoire de la folie à la âge classique (so der französische Titel) an der Universität Clermont-Ferrand, an welcher er bis 1966 Dozent und Professor für Philosophie und Psychologie ist.

Im Jahr 1960 lernt er den jungen Philosophiestudenten Daniel Defert kennen, der bis zu seinem Tod im Jahr 1984 sein Lebensgefährte bleiben wird. Fortan versucht Foucault möglichst viel Zeit mit seinem Partner zu verbringen.

1963 erscheint Foucaults Werk Die Geburt der Klinik, in dem er schon zu diesem Zeitpunkt feststellt, daß die Wissenschaften vom Menschen sich in einem Feld konstituieren, das vom Gegensatz zwischen dem Normalen und dem Pathologischen konstituiert wird. Die durch die Humanwissenschaften erzeugte Individualität ermöglicht dem Menschen darüber hinaus zugleich Subjekt und Objekt der eigenen Erkenntnis zu sein. Diese Thesen werden noch eine zentrale Rolle in seinen nachfolgenden Hauptwerken Foucaults spielen.

Das Jahr 1966 ist für Foucault ein Jahr der Entscheidung: Sein Buch Die Ordnung der Dinge (Les Mots et les choses) wird in Frankreich ein großer Erfolg und macht ihn auch über die Grenzen das Landes hinaus bekannt. Sein Vergleich der Entstehung der drei wissenschaftlichen Felder der Ökonomie, der Naturwissenschaften und der Linguistik im 18. und 19. Jahrhundert macht auf epochale Einschnitte in der Denkweise der westlichen Welt aufmerksam. Foucaults These vom „Tod des Menschen“ wird kontrovers diskutiert: Er kündigt in seinem berühmten Schlußsatz der Ordnung der Dinge ein Ereignis an, das die Voraussetzung für ein Denken ohne den Menschen sein soll. Er wettet, daß, wie zur Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert als die Geschichte der Ähnlichkeiten und des Gleichen durch die der Repräsentation abgelöst wurde, nun auch ,„der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“. Für Foucault ist der Mensch nichts anderes als eine bestimmte diskursive Formation in der wissenschaftlichen Ordnung der letzten 150 Jahre, die jetzt wieder verschwinden muß, da sie bloß ein Element in einem dem Subjekt immer vorausgehenden Regelzusammenhang ist. Das Subjekt kann nicht mehr – wie in der Philosophie der Neuzeit – Ursprung aller Erkenntnis und Wahrheit sein.

Im gleichen Jahr verläßt Foucault Paris, um Daniel Defert nach Tunis zu folgen, wo er bis 1968 als Gastprofessor für Philosophie tätig ist. Bei seiner Rückkehr in die französische Metropole sind in Frankreich Studentenrevolten ausgebrochen, die an Foucault nicht spurlos vorübergehen. Seit seinem Austritt aus der KPF engagiert sich Foucault - nach sechzehnjähriger Abstinenz – nun erstmals wieder politisch. Er nimmt an Kundgebungen und Demonstrationen für die Belange von Gefangenen, die in Frankreich unter unzumutbaren Zuständen eingesperrt sind, teil und tritt der G.I.P. (Gruppe zur Information über Gefängnisse) bei, welche die Strafgefangenen in eine Position versetzen soll, selbst auf die skandalösen Bedingungen im Vollzug aufmerksam zu machen. Seine Erfahrungen und Aktivitäten in dieser Zeit der politischen Umbrüche schlagen sich später auch in Foucaults Werk Überwachen und Strafen (1974) nieder: die Erzeugung von Delinquenten durch das Gefängnis, die Verwaltung von Gesetzeswidrigkeiten sowie die Zugehörigkeit des Gefängnisses zu einem Strafsystem, das in seiner Gesamtheit analysiert werden muß.

Nach zwei Jahren als Leiter der philosophischen Fakultät am Pariser Centre universitaire expérimental de Vincennes wird er 1970 Professor für die Geschichte der Denksysteme am Collége de France und hält dort seine berühmte (unter dem Titel Die Ordnung des Diskurses erschienene) Antrittsvorlesung. Schon im Jahr 1969 erscheint sein Buch Die Archäologie des Wissens, das sich mit der Analyse des Sagbaren innerhalb des Diskurses beschäftigt. Foucault erweitert Ende der sechziger Jahre die Analyse der Wissenschaften durch die Untersuchung von Machtbeziehungen.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1984 bleibt Foucault Dozent am Collége de France, zwischenzeitlich hält er auch Vortragsreihen in Berkeley, Kalifornien, reist nach Japan, in den Iran und nach Polen (seit 1981 Zusammenarbeit mit der verbotenen Gewerkschaft Solidarität).

Seine Schriften Überwachen und Strafen (1974) und Sexualität und Wahrheit, Bd. 1- Der Wille zum Wissen (1976) verdeutlichen, daß der Wille zur Wahrheit untrennbar von einem Machtwillen ist, sie bedingen sich gegenseitig. In beiden Werken zeigt Foucault auf, daß unsere im 18. Jahrhundert entstandene Ordnung (der individuellen Freiheit und des offenherzigen Geständnisses einer verborgenen Wahrheit) die Subjekte an eine festgeschriebene Identität haftet und sie schließlich in einem Gefängnis aus Norm und Disziplin einkerkert. Entgegen der vorherrschenden Überzeugung, daß in unserer Gesellschaft das Begehren und die Sexualität durch ein repressives System unterdrückt werden, beweist Foucault in Der Wille zum Wissen, daß wir selbst die Agenten dieser Repression sind. Der gesellschaftliche Diskurs über die Sexualität wirkt nicht bloß repressiv, sondern auch als Anreiz. In der Ordnung des Abendlandes hat man der Sexualität eine zentrale Rolle zugewiesen. Die Beichte ist dabei eine Praktik, die heute nicht mehr von Priestern, sondern von Psychoanalytikern abgenommen wird. Foucault verdeutlicht, daß die Produktion von Diskursen an Machtbeziehungen gekoppelt ist, welche sich im Individuum festsetzen und es selbst zu aktiven Agenten dieser Diskurse macht.

Nachdem Foucault in den vorherigen Büchern die moderne Objektivierung des Subjekts dargestellt hat, stellt er im zweiten und dritten Band (Der Gebrauch der Lüste und Die Sorge um sich, 1984) seiner Geschichte der Sexualität dar, wie der freie, männliche Polis-Bürger noch weitgehend souverän über seine Handlungen regieren konnte. Die antike Ethik zeigt aus Foucaults Sicht auf, daß die Unterwerfung des Subjekts unter die gegenwärtige diskursive Machtordnung nicht die einzig mögliche sein muß. Seine genealogischen Untersuchungen über die historischen Transformationen im Feld von Ethik und Sexualität will Foucault noch in Die Geständnisse des Fleisches weiterführen, doch leider kommt es nie zu einer Veröffentlichung des Buches.

Foucault stirbt am 25. Juni 1984 an den Folgen einer Infektion mit dem HIV-Virus in Paris.

Marc-Christian Jäger, 2003


Quellen (u. a.):
- Auszug aus der Einleitung zu The Gay 100 „Michel Foucault“, Text auf dieser Seite: http://foucault.info/foucault/biography.html
- Ewald, Francois, Arlette Farge u. Michelle Perrot: „Eine Praktik der Wahrheit“ In: Michel Foucault. Eine Praktik der Wahrheit. Hg. v. Robert Badinter, Pierre Bourdieu u. a. Übers. v. Gabriele Ricke u. Ronald Voullié. München: Raben, 1997. S. 9-59.
- Foucault, Michel: Der Mensch ist ein Erfahrungstier. Gespräch mit Ducio Trombadori. Übers. v. Horst Brühmann. Mit einem Vorwort
v. Wilhelm Schmid. Mit einer Bibliographie v. Andrea Hemminger. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996. (ME)
- Taureck, Bernhard H. F.: Michel Foucault. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1997.


Weiterführende Literatur:
- Eribon, Didier: Michel Foucault. Eine Biographie. Übers. v. Hans-Horst Henschen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993.
- Foucault, Michel: „Autobiographie“. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 4 (1994). S. 699-702.
- Marti, Urs: Michel Foucault. München: Beck, 1988.
- Miller, James: Die Leidenschaft des Michel Foucault. Köln: Kiepenheuer, 1995.
- Waldenfels, Bernhard: Michel Foucault. Auskehr des Denkens. In: Philosophen des 20. Jahrhunderts. Eine Einführung. Hg. v. Margot Fleischer. 3. A. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1992. S. 191-203.

 



Zeittafel

1926 Paul-Michel Foucault wird am 15. Oktober in Poitiers geboren. Er ist das zweite Kind seiner Eltern Paul Foucault und Anne Malapert. Sein Vater ist Chirurg, die Mutter stammt ebenfalls aus einer Ärztefamilie. 1925 wird seine Schwester geboren, sein Bruder Denys 1933.
1945 Foucault schließt die Schule am Lycée Henri IV in Paris ab. Danach erhält er einige Monate Unterricht bei Jean Hyppolite.
1945 Im zweiten Anlauf wird F. an der École normale supérieure in Paris zugelassen. F. wird Schüler und Freund von Louis Althusser
1948 Diplom in Philosophie. Wahrscheinlich erster Selbstmordversuch
1949 Diplom in Psychologie
1950 Zweiter Selbstmordversuch
1951 Staatsexamen in Philosophie
1952 Diplom für Psychopathologie. F. arbeitet als Assistent an der Philosophischen Fakultät in Lille und lernt dort Pierre Boulez und Jean Barraqué kennen
1954 F. verfaßt das Vorwort zu Ludwig Binswangers Traum und Existenz und schließt seine These Maladie mentale et personnalité ab
1955 F. wird Lektor an Universität Uppsala und leitet dort das Maison de France
1958 Direktor des Centre francais an der Universität Warschau
1959 Direktor des Institut Francais in Hamburg
1960-1966 F. ist Privatdozent und Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Clermont-Ferrand
1960 Beginn der Beziehung mit Daniel Defert
1961 Promotion mit Histoire de la folie á l´âge classique in Paris
1965-1968 F. wird Gastprofessor an der Universität in Tunis
1966 Das Buch Die Ordnung der Dinge wird publiziert
1968 Die Archäologie des Wissens erscheint
1969-1970 F. beteiligt sich als Professor für Philosophie an der Gründung des Centre Universitaire expérimental de Vincennes
1970 F. wird Professor für die Geschichte der Denksysteme am Collège de France
1971 Gründungsmitglied der G.I.P. (Gruppe Gefängnisinformation)
1974 Überwachen und Strafen erscheint
1975 Gastdozent an der Universität Berkeley, Kalifornien
1976 Der Wille zum Wissen erscheint
1978 Reise nach Japan und Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus. Foucault berichtet als Korrespondent über die Revolution der islamischen Fundamentalisten im Iran
1982 Foucault reist zusammen mit Simone Signoret und Bernard Kouchner nach Polen, unterstützt die Gewerkschaft Solidarnosc und organisiert Hilfstransporte
1983 F. hält erneut Vorträge in Berkeley
1984

Kurz vor seinem Tod erscheinen Der Gebrauch der Lüste und Die Sorge um sich.
Am 25. Juni stirbt Foucault in Paris an den Folgen einer Infektion mit dem HIV-Virus

Quellen (u. a.):
- Fink-Eitel, Hinrich: Michel Foucault zur Einführung. 3., durchges. A. Hamburg: Junius, 1997.
- Taureck, Bernhard H. F.: Michel Foucault. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1997.

 

Zurück zur Auswahl
Zurück zur Homepage